Alles auf Anfang, Marie by Ursula Schröder

Alles auf Anfang, Marie by Ursula Schröder

Autor:Ursula Schröder
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
veröffentlicht: 2012-08-14T04:00:12+00:00


12

Am nächsten Morgen frühstückte ich mit Henning, ohne dass wir noch mal über das Thema China sprachen. Ich jedenfalls hatte auch völlig andere Dinge im Kopf, denn auch nach Jahrzehnten gynäkologischer Erfahrung, zwei Schwangerschaften eingeschlossen, machte mir ein Besuch beim Frauenarzt jedes Mal wieder zu schaffen.

Dieses Mal war ich noch hin- und hergerissener denn je, wenn ich an meine Krebsvorsorge dachte. Ich meine, man geht eigentlich ja jedes Mal hin mit dem Gefühl »eigentlich überflüssig, er findet ja doch nichts«. Auch dieses Mal hatte ich keinen Anlass zur Sorge; bei meinen gelegentlichen Abtast-Kontrollen hatte ich nichts Aufregendes in meinen Brüsten entdeckt, es ging mir gut, und bis auf die lästigen Erscheinungen, die ich auf die Wechseljahre zurückführte, konnte ich wirklich nicht klagen. Und niemand wünscht sich ja, krank zu sein – vor allem nicht so, wie es bei einer solchen Untersuchung festgestellt werden könnte. Aber – und das war ein Gedanke, für den ich mich zeitnah schämte – wenn bei dieser Untersuchung etwas gefunden werden würde, dann hätte Henning doch sicher einen Grund, Dr. Sondermanns Angebot abzulehnen, oder? Niemand konnte von ihm verlangen, eine krebsgefährdete Frau mit nach China zu nehmen oder allein zu Hause zurückzulassen.

Mental haute ich mir auf die Finger. Pfui, solche Gedanken hat man nicht! Das ist ungefähr so wie früher, als man seinen Teller leer essen musste, weil die vielen armen Kinder in Biafra Hunger litten. Meine Eltern waren da sehr konsequent, und diese Erziehung hat tiefere Spuren hinterlassen, als man manchmal ahnt. Und doch … Schließlich ist es eine Sache, als quengelige Luxusgattin seinem Mann eine Aufstiegschance zu versauen, während der Fall einer armen Chemo-Patientin doch ganz anders lag. Wobei mir der Gedanke an dieses Stadium der Krankheit doch unsympathisch war. Vielleicht gab es Fälle, in denen es einige Zeit dauerte, bis die Untersuchungen abgeschlossen waren und man sicher sein konnte, dass es sich um nichts Schlimmes handelte, aber bis dahin hatte die Firma längst einen smarten Jungingenieur gefunden, der sich vor Smog, offenen Frauen und 30 Millionen Chinesen auf engstem Raum nicht fürchtete.

Ja, so eine Version würde ich gerne nehmen. Mal schauen, was Dr. Göbel dazu sagen würde.

Also fuhr ich mit sehr gemischten Gefühlen nach Bredenscheid. Ich überreichte der Mitarbeiterin an der Rezeption brav alles, was sie brauchte: Überweisung, das Kärtchen und das Bargeld, mit dem ich die wirklich relevanten Untersuchungen zukaufte. Wie immer wurde ich dann zunächst ins Wartezimmer geschickt, wo ich hoffte, zwischen den Lesezirkel-Zeitschriften irgendwas zu finden, was sich nicht auf Fürstenhochzeiten und die Probleme der Fernsehstars reduzierte. Das könnte ich schließlich auch bei Nicole Nowakowski kriegen.

Dieses Mal hatte Dr. Göbel uns zwei GEO-Hefte spendiert. Eins davon hatte einen Schmetterling auf dem Titel, was mich an den folgenreichen Abend mit Freund Büdenweis erinnerte. Spontan griff ich nach dem anderen und nahm zwischen mehreren Frauen in unterschiedlichen Stadien der Schwangerschaft Platz. Wenn man das so sah, würde Deutschland nicht aussterben, vielleicht jedoch die deutsche Sprache, so wie ich sie gelernt hatte. Zwei der Frauen trugen die typischen chiffonartigen Kopftücher über ihrem Dutt, die man bei frommen Russlanddeutschen findet.



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